Prozesskunst und Generative Kunst auf dem Prüfstand: Ein Blick in die Welt der kybernetischen Kunst
In einer Zeit, in der sich alles um Interaktivität und permanente Veränderung dreht, rücken zwei faszinierende künstlerische Strömungen verstärkt ins Rampenlicht: Prozesskunst und Generative Kunst. Beide spielen mit dem Faktor Zeit, beide stellen die Veränderung ins Zentrum, und beide können – wenn man ihnen nur genügend Raum gibt – sogar einen Schritt weitergehen und zu regelrechten kybernetischen Systemen werden. Doch wie genau verhält sich das eigentlich?
Prozesskunst ist historisch oft mit Materialtransformation verbunden. Da schmilzt ein Eisblock in einer Galerie, trocknet Farbe auf einer Leinwand oder verformen sich weiche Materialien unter dem Einfluss von Schwerkraft und Temperatur. Manchmal greift auch das Publikum ein, unbewusst oder bewusst. Aus journalistischer Sicht lässt sich sagen, dass hier eine Art romantische Liaison zwischen Mensch und Material stattfindet. Man beobachtet, wie sich etwas verändert, wie Zeit ein Werk definiert und die reine Idee des fertigen Objekts zugunsten einer andauernden Metamorphose ins Hintertreffen gerät. Zufällige Faktoren, seien es Temperatur oder menschliche Interaktion, bilden oft den Herzschlag dieser Kunst, die sich weder an starre Codes noch an fest definierte Abläufe hält.
Auf den ersten Blick scheint die Generative Kunst auf der anderen Seite des Spektrums zu liegen: Hier sorgen Algorithmen, Codes und programmierte Abläufe dafür, dass sich ständig neue Bilder, Klangwelten oder 3D-Modelle entfalten. Der Künstler setzt den Rahmen – das Regelwerk – und erlaubt dem System, innerhalb dieser Grenzen sein Eigenleben zu führen. Trotzdem steckt auch in der generativen Kunst ein gewisses Maß an Unberechenbarkeit: Zufallszahlen oder dynamische Parameter können die Entwicklung des Werks so beeinflussen, dass nicht einmal der Künstler genau vorhersagen kann, wie das nächste Bild oder die nächste Sequenz aussehen wird.
Stellt man sich nun die Frage, wie beides zu einem kybernetischen System werden kann, lautet die kurze Antwort: durch Rückkopplung. Ein kybernetisches System reagiert auf sich selbst und auf seine Umgebung. In der Prozesskunst kann das heißen, dass ein Kunstwerk nicht nur passiv vor sich hin schmilzt oder trocknet, sondern eine aktive Schleife mit seiner Umgebung bildet. Es könnte etwa auf Temperatur reagieren, die sich wiederum durch das Materialverhalten selbst ändert, was dem Prozess eine neue Richtung gibt. Bei der Generativen Kunst würde ein Algorithmus möglicherweise das eigene Ergebnis analysieren, um daraus weitere Schritte zu berechnen. Oder er lässt sich von den Reaktionen des Publikums lenken – ein Nicken hier, ein Stirnrunzeln dort, schon verschieben sich die Parameter, und das Werk verändert sich erneut.
Eines wird deutlich: Beide Formen – Prozesskunst wie Generative Kunst – sind nicht nur zeitbasiert, sondern oft auch zutiefst dialogisch. Sie führen einen ständigen Diskurs mit ihrer Umwelt, ob dies nun physische Kräfte oder Programmcodes sind, und stellen den Aspekt der Veränderung über das starre Endprodukt. Dass sie mitunter etwas unberechenbar wirken, ist durchaus gewollt – eben darum suchen Künstlerinnen und Künstler diese Ausdrucksformen.
Die Essenz liegt also in der Idee, dass Kunst nicht auf das „Was“ oder „Wer“ beschränkt ist, sondern auf das „Wie“ und „Warum“: Wie geschieht Veränderung, und warum fasziniert uns das so sehr? Ob ein Motor Tinguelys Maschinenskulpturen in Bewegung setzt oder generative Algorithmen in einer Lightshow ständig neue Muster zeichnen – am Ende geht es um den Reiz des Unvollendeten, des sich ständig Neu-Erfindenden. In einer Welt voller Schnittstellen und Informationsflüsse erscheinen diese Kunstformen fast schon wie prophetische Modelle unseres gesellschaftlichen Miteinanders. Sie leben von Interaktion, Wandel, und sie machen deutlich, dass es keinen „abgeschlossenen“ Zustand gibt – weder in der Technik noch in der Kunst.